Geschichten

Lema und das unheimliche Klicken

Lema presste sich gegen den Baumstamm. Sie hatte etwas gehört. Ein Klicken, so als ob jemand mit einem Hammer auf eine Stück Metall haut. Allerdings gab es hier draußen im Wald kein bisschen Metall. Und vermutlich auch keinen Menschen außer sie selbst, der einen Hammer dabei haben könnte, dachte sie verbittert. Trotzdem keimte Hoffnung in ihr auf. Hatte sie ihr Ziel, die Siedlung weiter oben am Fluss, endlich gefunden? Oder kam das Klicken einfach nur von einem ihr bisher unbekannten Tier? Bei diesem Gedanken bekam Lema eine Gänsehaut. Wenn sie jetzt einem der dunklen Tiere begegnete, war ihr Leben so gut wie beendet. Die dunklen Tiere konnten nur mental, nicht mit Waffen besiegt werden. Und so verbittert und panisch wie Lema gerade war, würde sie in einem mentalen Duell nicht lange die Oberhand behalten. Langsam zählte die junge Frau bis sieben. Und dann nochmal bis sieben. Sie wiederholte das Zählen insgesamt vier Mal. In ihrer Heimat war das die gängige Methode, um Sachen abzuzählen. Sieben war die größte Zahl die es gab – wollte man mehr als sieben ausdrücken, fing man wieder von vorne an. Nachdem sie vier Mal bis sieben gezählt hatte und das Klicken nicht mehr zu hören war, spähte Lema vorsichtig in alle Richtungen. Nirgendwo sah sie etwas Anderes als Bäume. Alles war ruhig. Misstrauisch schaute sie sich noch einmal um. Hatte sie sich getäuscht? War sie schon solange unterwegs, dass sie anfing sich Dinge einzubilden? Sie hatte von einer anderen Botin gehört, die nach einem Auftrag in den Sümpfen wirres Zeug erzählt hatte und sich danach nicht mehr getraut hatte, allein auf die Straße zu gehen – sie hatte sich eingebildet, dass hinter jeder Häuserecke ein Sumpfgeist auf sie wartete, der sie zurück in den Sumpf bringen wollte. Man hatte sie schließlich zurück zu ihrer Familie geschickt, da sie natürlich nicht mehr als Botin arbeiten konnte. Was weiter mit ihr geschehen war wusste Lema nicht. Lemas Gedanken schweiften ab. Sie dachte an ihre eigene Familie, an ihr Dorf und an ihre Kindheitsfreunde. Ihre Freunde hatten sie verraten, als sie ihrer Neugierde gefolgt und die Höhle im Fels erkundet hatte. Das war verboten gewesen, aber Lema hatte nie verstanden weshalb. Ein lautes „Klick“ riss sie aus ihren Gedanken. Lema zuckte zusammem. Das Geräusch war diesmal lauter und näher gewesen. Erneut bekam Lema eine Gänsehaut. Sie hatte die ganze Zeit über sorgfältig auf ihr Umfeld geachtet, aber sie hatte kein einziges Mal nach oben geschaut. Lag die Quelle des Geräuschs etwa in den Baumkronen? Hatte sich da oben ein böses Tier versteckt? Langsam legte sie ihren Kopf in den Nacken. Direkt über ihr hing ein riesiges Spinnennetz. Obwohl sie Spinnen nicht besonders gut leiden konnte, hatte sie keine Angst vor ihnen. Spinnen waren meistens harmlos. Zudem war die Spinne gar nicht in ihrem Netz zu sehen. Verwirrt blickte sich Lema noch einmal um. Spinnennetze machten doch keine Klickgeräusche? Plötzlich zischte es über ihr, und Lema hüpfte vor Schreck ein paar Zentimeter in die Höhe. Sie schaute gerade noch rechtzeitig nach oben, um zu sehen, wie das Spinnennetz auf sie herunterfiel – komplett, ohne zu zerreißen. Und ohne erkennbaren Grund. Es fiel einfach. Und Lema hatte keine Zeit mehr, sich vor dem fallenden Netz zu retten. Ihre schnelle Reaktionsfähigkeit bei Gefahren versagte, da sie das Spinnennetz nach wie vor nicht als Gefahr betrachtete. Selbst wenn das Netz an ihr Kleben blieb, so war es doch keine schwierige Arbeit, die Fäden zu durchtrennen, dachte Lema. So nutzte sie die Sekundenbruchteile, in denen das Netz noch nicht bei ihr angekommen war, um nach der Ursache für das plötzliche Zischen zu suchen. Ganz oben in der Baumkrone glaubte sie eine Bewegung zu sehen, dann musste sie ihre Augen schließen, damit sie nicht von Spinnenfäden verklebt würden. Sofort begann Lema, sich wieder aus dem Netz zu befreien. Sie versuchte es zumindest, denn sie stellte schnell fest, dass die Fäden sehr viel fester waren als gewöhnlich. So sehr sie sich auch bemühte, sie bekam ihre Hände nicht frei und auch ihre Augen konnte sie nicht mehr öffnen. Panik stieg in ihr auf. Sie hatte nicht gewusst, dass es so stabile Spinnennetze gab. Stammte das Netz etwa von einer dunklen Spinne? Gab es sowas? Was konnte eine Spinne ihr antun? Lema wurde immer hektischer. Doch je mehr sie versuchte sich zu befreien, desto enger kam ihr ihr Gefängnis vor. In ihrer Panik hörte sie nicht, wie jemand den Baum herunterkletterte und zu ihr trat. Erst als sie hochgehoben und weggetragen wurde, realisierte Lema, dass sie in eine Falle gelaufen war. Und zwar nicht von einer Spinne, sondern von einem anderen, größeren Wesen. Das Wesen musste mindestens so groß sein wie sie selber, allerdings schien es viel stärker zu sein als sie. Es hatte keine Mühe ihr Gewicht zu tragen. Lema versuchte zu sprechen, doch auch das war mit einem verklebten Mund nicht möglich. Lema fühlte erneut kalte Panik in sich aufsteigen. Was hatte das Wesen mit ihr vor?

Na los, sag was dazu!